Die Orgel ist restauriert

Je länger man auf ein Ziel hinarbeitet, desto größer werden meist auch die Erwartungen. Der Orgelbauverein arbeitet seit 2001 für die Restaurierung, die Orgelbaufirma Flentrop seit 2018, seit Herbst 2018 musste die St. Nicolai-Kirche auf ihre große Orgel verzichten. Würde alles so werden, wie erhofft? Oder erleben wir eine Enttäuschung? Die Stimmung der Orgel wird anders als früher, das Registrieren erfordert erheblich größeren Aufwand, ist vom Organisten kaum alleine zu leisten, für das Zusammenspiel mit der Orgel sind spezielle Instrumente erforderlich, ein Großteil der romantischen Literatur wird auf der Orgel wenig überzeugend klingen – ist der Preis des Rückbaus womöglich zu hoch?

Je nun, eine Orgel, die für jedes Musikstück optimal einsetzbar ist, gibt es ohnehin nicht. Mit einem Sportwagen sollte man ja auch nicht quer über den Acker heizen! Und so stieg die Spannung weiter bis zum Einweihungswochenende. Bleiben wir im vorigen Bild, dürften wir sagen, wir haben einen ausgesprochenen Supersportwagen erleben dürfen! Die Firma Flentrop hat wahrhaft großes geleistet! Aus dem vorhandenen Durcheinander von Pfeifen unterschiedlicher Erbauer und Epochen ein überzeugendes Instrument zu formen, ist eine absolute Meisterleistung. Nur folgerichtig geriet das Einweihungswochenende zu einem großen Fest, bei dem die Scherer-Bünting-Orgel optisch wie akustisch strahlen durfte. Ersteres tat sie aufgrund der restaurierten Farbfassung, der aufgefrischten Vergoldung und der neuen, auf sie gerichteten Scheinwerfer, die den Prospekt gleichmäßig ausleuchten. Für letzteres sorgten die beteiligten Organisten, die die Farbigkeit der unterschiedlichsten Registrierungen in immer wieder neuen Kombinationen präsentierten.

Nachdem im Rahmen der Weihe die Gemeinde zuerst noch 4 Strophen des Chorals „Ich singe dir mit Herz und Mund“ (EG 324) a cappella gesungen hatte, erklang die Orgel erstmalig, wie es ihre zentrale Aufgabe ist, als tragendes Instrument bei drei weiteren Strophen des Chorals zum Abschluss der vom Möllner PastorInnenteam vorgenommenen Weihe – ein bewegender Moment nach dreieinhalb Jahren des Orgelschweigens!

Bei dem anschließenden Einweihungskonzert erwies sich sofort, dass die Scherer-Bünting-Orgel aber zu weit mehr taugt als zu liturgischen Aufgaben: Prof. Pieter van Dijk zeigte mit seinem Programm, wie frisch und farbreich die Orgel in der Musik des 16. und 17.Jh. klingt. Prof. Arvid Gast spannte den musikalischen Bogen weiter über eine Komposition seines Lübecker Kollegen Franz Danksagmüller aus dem Jahre 2007 bis zur berühmten d-moll- Toccata BWV 565 von Johann Sebastian Bach und bewies damit, dass die Scherer-Bünting-Orgel sich im Repertoire nicht auf die Renaissance- und frühe Barockzeit beschränken muss. Zu einer Bearbeitung von Variationen eines Flötenquartetts von Wolfgang Amadeus Mozart fanden sich beide Organisten zusammen und zauberten vielen Zuhörern mit ihrem delikaten Spiel ein genussvolles Lächeln ins Gesicht.

Drei Säulen bestimmten den Samstag: Während im Gemeinschaftshaus in der Seestraße Kinder, Jugendliche und interessierte Erwachsene unter der Anleitung von Andrea Battige und Thimo Neumann am Bausatz einer kleinen Orgel erfuhren, wie eine Orgel funktioniert, fanden vor interessiertem Publikum auf der Ratsdiele gut besuchte Vorträge in Zusammenhang mit der Scherer-Bünting-Orgel statt: über die Orgelbauer in Mölln und über die Restaurierung (Erik Winkel), über den Fund der aus Kappeln/Schlei übernommenen Pfeifen Jacob Scherers (Orgelbaumeister Reinalt Klein) und über Dokumente von Jacob Scherer aus Stettin (Prof. Krzysztof Urbaniak). Bei Interesse lassen sich die Vorträge in der „Festschrift zur Orgelweihe“ nachlesen, die für 10,- € im Kirchenbüro (Tel.: 04542 856880) oder über den Orgelbauverein (Tel.: 04542 89112) zu bekommen sind.

Am späteren Nachmittag stellte die Scherer-Bünting-Orgel im Konzert des Ensembles Marescotti (Uta Singer, Sopran ; Katrin Krauß-Brandi und Hartmut Ledeboer, Blockflöten; KMD Volker Jänig, Orgel) ihre Tauglichkeit als Instrument für Kammermusik unter Beweis. Mit den passenden Instrumenten geht die Orgel eine faszinierende Symbiose ein. Im Anschluss berichtete Volker Jänig, vor mehr als zwanzig Jahren Initiator der Restaurierung, über die Chancen mit einer historischen Orgel, basierend auf seinen Erfahrungen mit der Schwalbennestorgel an St. Marien in Lemgo.

Den Abschluss des Abends bildete ein atmosphärisches Konzert bei Kerzenschein, für das Prof. Harald Vogel Musik aus norddeutschen Manuskripten der Renaissance ausgewählt hatte, versehen mit ausführlichen Erläuterungen. So vermittelte sich ein plastischer Eindruck einer Zeitreise zur Musik des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, als hätten die Orgelbauer Jacob Scherer, Hans Köster und Friedrich Stellwagen Mölln gerade verlassen. Dank des tatkräftigen Einsatzes als Kalkant (Balgtreter) von Wiete van der Putten, Mitarbeiter der Fa. Flentrop, erklang die Orgel dabei ohne Motor, also versorgt mit „lebendigem Wind“.

Im Rahmen des sonntäglichen Festgottesdienstes stellte die Scherer-Bünting-Orgel unter den Händen (und Füßen) von Kantor Thimo Neumann ihre musikalische Alltagstauglichkeit unter Beweis: neben festlichen Klängen und der tragenden Kraft für den Gemeindegesang zeigte sich die Orgel auch von ihrer humorvollen Seite und erwies im Rahmen der Taufe auch Pippi Langstrumpf eine kurze musikalische Referenz.

Einen würdigen Ausklang fand das Wochenende mit dem mittäglichen Konzert des polnischen Organisten Prof. Krzysztof Urbaniak, der mit einem abwechslungsreichen Programm aus dem Hanseraum und der C-Dur Toccata BWV 566a von Johann Sebastian Bach für einen klangvollen wie begeisternden Abschluss sorgte.

Als Resümee zwei Zitate aus berufenen Mündern:

„Die Möllner Scherer-Bünting-Flentrop-Orgel kann jetzt als Vorbild dienen. Sie ist ein beachtliches Denkmal, das weit über Mölln und unsere Orgellandschaft hinaus strahlen wird als ein bedeutender Beitrag der Orgelkultur, die im Jahr 2017 von der UNESCO zum „Immateriellen Weltkulturerbe“ ernannt wurde.“ (Orgelsachverständiger KMD Hans-Martin Petersen in der Festschrift)

„Der gestrige Besuch in Mölln hat meine Erwartungen erfüllt und übertroffen. Das Restaurierungsprojekt hat zu einem Ergebnis geführt, das unserer Wahrnehmung des norddeutschen Orgelrepertoires der Renaissance ein erweitertes Fundament geben wird. Das Ensemble von drei so alten Prospektprinzipalen, den Consortregistern in drei Manualwerken und dem Plenum mit Blockwerkcharakter im Pedal ist einzigartig. Es wird getragen von einer ausgezeichneten Akustik, in der sich Fülle und Transparenz vereinen.“ (Prof. Harald Vogel per Mail)

Hartmut Ledeboer


Beitragsfoto
Reihe 1 vorn: Prof. Pieter van Dijk, Frits Elshout Fa. Flentrop, Kantor Thimo Neumann, Brigitte Ledeboer Orgelbauverein
Reihe 2: Erik Winkel u. Wiete van der Putten Fa. Flentrop, Prof. Arvid Gast, KMD Hans-Martin Petersen
Reihe 3: Hartmut Ledeboer, Christian Brosse, Matthias Helmhagen, (alle Orgelbauverein)